Mittwoch, 2. Juli 2014
Frau Dobermann
Mats war ein Spieler, dachte Herr Braun. Herr Braun stand regungslos wie ein windstiller Baum im lausigen, kleinen Park gegenüber vom Haus und schaute Mats beim Spielen zu. Das war ein Zeitvertreib, den Herr Braun sehr schätzte in der mühseligen Hetze des Alltags. Hier blühte er auf und kam zu sich. Kinder und Bäume, dachte Herr Braun, sie sind die Zukunft. Das hatte er einmal gelesen, aber vergessen wo, er las ja so viel, das könne er sich beim besten Willen nicht alles merken, hatte Herr Braun erst vor kurzem zu Rita gesagt und sie hatte scheinbar verständnisvoll gegrunzt. Mats saß auf der Wiese im runzeligen Gras und spielte mit leeren Bierdosen, er versuchte sie zu stapeln, mehr als zwei schaffte er aber nicht, sie fielen ständig wieder um. Mats war drei Jahre alt und wohnte im dritten Stock. Er hatte eine Mutter, die Mutter aber hatte keinen Namen, weder an der Klingel noch an der Tür. Auch der Vater fehlte. Kein Wunder, dachte Herr Braun. Mats war klein, blond und laut. Jetzt schrie er wieder aus vollem Hals. Herr Braun hatte keine Ahnung warum. Die Mutter auch nicht, sie saß zwanzig Meter weiter auf einer Bank mit unförmigen Kopfhörern auf den Ohren und rauchte eine Zigarette. Ein hämmerndes Dröhnen kam aus ihrer Richtung. Vielleicht hatte es mit dem Köter zu tun, der Mats angepinkelt hatte. Kinder sind da pingelig, glaubte Herr Braun. Der Köter war schwarz und schlank und groß wie ein Kalb. Er hieß Herr Dobermann. Das wusste Herr Braun von dessen Lebensgefährtin Frau Rübe, einer kleinen, fülligen Person aus dem Vorderhaus, die richtig verknallt war in Herrn Dobermann, wie sie selbst sagte. Frau Rübe arbeitete im Bioladen um die Ecke und war sehr für Tiere zu haben. Nur im Augenblick war nichts von ihr zu sehen. Eine Zeitlang schnupperte der streunende Herr Dobermann harmlos an Mats herum, Frau Rübe war nirgends zu sehen, dann hob der Köter ein Bein und das Unglück war perfekt. Herr Braun dachte daran, die Mutter über den Tatbestand zu informieren, wollte aber keine Affäre daraus machen. Mütter brauchen ihren persönlichen Freiraum, sonst versagen sie in der Erziehung, hatte Herr Braun in einer Broschüre beim Arzt gelesen. Seine Mutter hatte ihn nämlich zum Arzt geschickt, seine Mandeln wären geschwollen. Herr Braun ging nie zum Arzt und wenn doch, dann zum Erstbesten. Der Arzt hieß Frau Klinke und war Frauenärztin. Herr Braun aber war nicht streng und glaubte an die Gleichberechtigung der Geschlechter, da müsse doch was dran sein, behauptete er. Herr Braun war neugierig. Nach fünf Stunden im Wartezimmer aber hatte der nackte Hunger einen Sinneswandel herbeigeführt und er war gewillt, seiner Gesundheit noch einmal eine Chance zu geben. Frau Rübe marschierte über die Wiese, offenbar hatte sie einen freien Tag. Ihre wilden Rufe nach Herrn Dobermann verhallten ungehört, der Köter ließ sich nicht blicken. Besorgt stapfte sie auf den zuverlässig plärrenden Mats zu. Wo ist denn deine Mutter? herrschte sie ihn fürsorglich von oben herab an. Was veranstaltest du denn hier, so vollkommen allein, das ist doch unmöglich! Inzwischen war die Zigarette zu Ende geraucht und es erhob sich, tiefschwarz gekleidet, hoch und stolz gewachsen Frau Dobermann, dachte Herrn Braun, als ihm das schwarze lederne Halsband mit seinen silbernen, im Sonnenlicht glitzernden Nieten ins Auge fiel. Während Herr Braun sich seinerseits erhob und innerlich wappnete, auch wenn er nicht genau wusste gegen wen oder was, sondern nur ahnte, dass der Tag gerade aus dem Ruder zu laufen begann, hatte Frau Dobermann ihn in wenigen eleganten Schritten fast erreicht. Die wachsende Affinität zwischen Mensch und Tier erfüllte ihn unversehns mit größter Sorge. Darum entschied er, umgehend den nahe gelegenen Kiosk aufzusuchen. Rita hatte bestimmt Durst.

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