Dienstag, 26. Januar 2016
Training und Tränen
Die Entlassung drohte. Er schwitzte. Die Übungen machen ihn fertig. Marinana kannte keine Gnade. Er liebte sie und wollte nicht weg. Wohin auch! Er hatte sich um nichts gekümmert, alles schien unendlich. Es sei alles in ihrer Macht stehende getan worden, hatte der Arzt gesagt, jetzt läge es an ihm. Wussten die etwa nicht, dass das in die Hose gehen musste? Das müssten die doch wissen, dachte Herr Braun, hat ihnen das denn keiner gesagt? Wo war seine Mutter? Seit dem er die Schmerzkiller nicht mehr schluckte, war die Taubheit in seinem Kopf nach und nach verklungen, er konnte klarer denken, vielleicht so klar, wie seit jenen trunkenen Tagen als er fünfzehn war und allein auf der Straße und die tröstende Macht der Flasche entdeckte, was im Augenblick alles viel schlimmer machte. Die Beine wollten nicht, ließen ihn im Stich. Abwarten, widerholte der Arzt, man könne nur abwarten. Sie werden lernen, damit zu leben, das müssen viele andere auch, sie schaffen das schon. Herr Braun dachte, er müsse kotzen. Jetzt hier sofort auf den Schreibtisch von diesem Menschen vor ihm im feinen Nadelstreif, Herr Doktor Dings war gerade auf dem Sprung, der Bürgermeister lud zu einem Empfang, Sie verstehen. Herr Braun weinte, Marianna war wieder an diesem Punkt, wo er nicht anders konnte. Erst spannten sich die Glieder als würden sie ins All geschleudert, dann die wohlige Landung in lächelnden Daunen. Er musste etwas tun. Das wusste er schon längst, seit dem Besuch von Herrn K. wusste er das, er hatte es nur nicht wahr haben wollen. Das Haus ist verkauft, hatte Herr K. erzählt, niemand von unseren Nachbarn lebt noch, alle auf die Straße gejagt, überall Cafés und kleine Shops für Ökofressen. Herr K. hatte sich angeekelt abgewendet und für einen Moment hatte Herr Braun befürchet, es würde zum Äußersten kommen, doch dann beruhigte sich Herr K. wieder und berichtete mit Tränen der Rührung in den Augen, dass seine Frau Mutter jemanden geschickt hätte, um die Wohnung zu räumen. Nur den Fernseher nicht, den habe ich genommen. Wollen Sie ihn wieder zurück? Ich bringe ihn gern vorbei, möchten Sie das? Das macht gar keine Umstände. Irgendjemand musste kommen und ihn holen, dachte Herr Braun. Er könne doch nicht einfach so ins Nichts rollen. Dann würde alles nur wieder sehr schlimm werden. Wie vorher! Das wollte er nicht. So viel stand fest. Auch seine Mutter würde er nicht bitten. Das hatte sie nicht verdient. Könnte Marianna ihn nicht aufnehmen? Sie war das einzige Wesen, das ihn verstand, das kapiert hatte, was ihm gut tat. Sie lachte und zupfte eine Locke aus ihrem geröteten Gesicht. Das dezente Schütteln ihres Zopfes sollte wohl nein bedeuten. Klar, dachte Herr Braun, so lief das nicht, es musste alles seine Ordnung haben.

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