Freitag, 10. Oktober 2014
Abschied von der Gemütlichkeit
Herr Braun hatte ein Sechserpack geleert und wollte sich eben das Nächste zur Aufgabe machen, da kam Herr K. unangemeldet zu Besuch, um ein wenig zu plaudern, wie er sagte. Wenige Minuten später indes schien es in ihrem angeheiterten Gespräch nur noch um ein Fernsehgerät zu gehen, welches auszuborgen Herr K. sich wünschte. Herr Braun wies ihn in aller Gemütsruhe darauf hin, dass er kein Gerät dieser Art besäße. Er wäre sogar noch nie auf die Idee gekommen, sich eines anzuschaffen, aus Furcht, es könnte ihn in seiner überaus empfindlichen Gemütlichkeit stören. Er und Rita und ein Bier, das passte. Mehr lohnt nicht, dachte Herr Braun und teilte das auch seinem Nachbarn mit. Doch dieser wollte das keineswegs so schnell einsehen. Jeder Deutsche besitzt ein Fernsehgerät, meinte Herr K., an seinem Fernsehgerät erkennt man den Deutschen doch erst. Warum er ihn belüge, fragte Herr K. darauf, er hätte immer den Eindruck gehabt, sie wären Freunde, und er hätte sich doch auch stets für ihn eingesetzt. Ob er sich noch an die Begebenheit mit den glatzköpfigen Unholden erinnern könne, die unweit des Alexanderplatzes ihre Stiefelabsätze auf Herrn Brauns Wintermantel gereinigt hätten, bis Herr K. sie flehentlich darauf aufmerksam machte, dass es auch andere, legitime Methoden gäbe, seine Schuhe vom ärgsten Dreck zu befreien, erzählte Herr K. noch, als Herr Braun mit unvermutetem Elan aufsprang, Herrn K. beim Kragen packte und zu ihm heraufzog. Ich besitze kein Fernsehgerät, sagte Herr Braun keine Silbe auslassend und etwas schärfer im Ton als gewöhnlich. Danach ließ er Herrn K., ebenso unvermittelt wie er ihn aufgehoben hatte, in den abgeranzten Ohrensessel hinter ihm zurück plumpsen. Eine feindselige Staubwolke löste sich nun aus den Gedärmen des antiken Möbels und hüllte Herrn K. ein. Der rang nach Luft, holte ein frisches Taschentuch hervor und hielt es sich vor Nase und Mund bis der ärgste Ansturm vorüber war. Wie geht‘s denn Rita, fragte Herr K. schließlich während einer kurzen Atempause. Schaut Rita auch kein Fernsehen? Herr K. strebte nun nach nichts anderem mehr, als seinem mehr oder minder zurechnungsfähigen Gegenüber gefällig zu sein. Er erklärte Herrn Braun, er sei ihm überhaupt nicht böse, wenn er ihm sein Fernsehgerät nicht leihen wolle. Das könne er besser verstehen als jeder andere. Wenn er ein Fernsehgerät besäße, würde er dieses auch nicht verleihen. Um keinen Preis der Welt, sagte Herr K. und schnäuzte sich wiederholt die Nase. Große schwarze Staubbrocken waren im Taschentuch zu sehen. Herr K. erschrak heftig und fügte noch kleinlauter hinzu: Er werde das wieder gut machen, er werde ihm ein Fernsehgerät schenken, dann hätte Herr Braun zwei Fernsehgeräte und könne ihm eines leihen. Herr Braun schüttelte den Kopf. Er wolle nichts davon wissen, er wolle seinen Frieden, erklärte er, nun aber schon sichtlich ermattet. Da es schwieriger zu sein schien, einen Freund zu verlieren, als ein Fernsehgerät zu verleihen, ließ Herr Braun dem Schicksal schließlich seinen Lauf, als am Nachmittag des übernächsten Tages die blöde Glotze auf seinem Küchentisch stand.

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