Mittwoch, 9. Dezember 2015
Kariertes Wiedersehen
Das Wiedersehen hatte er sich anders vorgestellt. Darauf war er nicht vorbereitet. Die Welt hatte sich verändert. Alles schien ihm kariert irgendwie. Und farblos. Schwarzweißkariert. Warum kariert, fragt er sich, warum nicht gestreift? Nach einer kurzen Phase der Besinnung erkannte er sich im Bett liegend, wie er auf einen Vorhang starrte, der sein Bett umgab. So, da bin ich ja wieder, dachte er verwundert. Herr Braun hatte Durst. Großen Durst. Seine Glieder schmerzten zwar bei der geringsten Bewegung, er wollte aber trotzdem zu einer Flasche greifen, die neben dem Bett auf einem kleinen Tisch stand. Die Flasche kippte um und fiel auf den Boden. Ein leiser Plastik-Plumps war zu hören und ein dezentes Rollen der Flasche ins Unerreichbare. Herr Braun wollte schon rufen, aber wen? Wo war er denn überhaupt? Was war geschehen mit ihm? Gestern war er noch als Weihnachtsmann unterwegs gewesen. Von Haus zu Haus in Frohnau. Was für ein dummer Job. All diese Kinder. Du siehst nicht aus wie ein Weihnachtsmann! Du siehst aus wie ein Penner, hat mein Papi gesagt. Meine Mama sagt, du stinkst. Warum stinkst du? Und dann war er gestolpert und gefallen. Tief gefallen, das wusste er noch, eine marmorne Treppe herunter. Dich gibts doch gar nicht, hörte er noch einen Jungen krähen, verpiss dich! Rumms. Die Tür sauste zu, traf ihn wohl am Kopf, er war so unvorsichtig gewesen, beim Öffnen der Tür sich bereits für sein Eintreten devot vorzubeugen, weil er annahm, er sei willkommen. Dabei waren er und seine Kollegen strikt angewiesen worden, nie davon auszugehen, willkommen zu sein. Immer erst warten, bis man herein gebeten wurde. Niemals vorher! Plötzlich verschwand die karierte Welt, der Vorhang war beseite gezogen worden, grell stechendes Licht drang herein, ein Engel erschien. Nicht schon wieder, dachte Herr Braun.

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