Dienstag, 8. Juli 2014
Der Vagabund
In Ritas rechtem Mundwickel zuckte es. Herr Braun lag auf ihr, fand sich aber in dieser ungewohnten Lage nicht zurecht. Sein massiger Torso flutete die elenden Ebenen ihrer Rippen. Seine Arme aufgestützt neben ihrem kahlen, knochigen Schädel, sah er ihr direkt ins Gesicht. Keine weitere Regung war zu erkennen, die trostlosen Lippen fest geschlossen, die dunklen Augen weit aufgerissen, als wäre sie in Panik. Dabei bin ich es doch, dachte Herr Braun. Da zuckte es wieder. Wollte sie etwas mitteilen? Ihre ersten allgemein verständlichen Worte? Herr Braun erhoffte sich eine Äußerung, die auf intelligentes Leben schließen ließ. Dann könnte ich sie mit Mutter bekannt machen, dachte er. Seit ihrem Überfall war sie nicht mehr bei ihm gewesen. In diesem Dreckloch siehst du mich nicht wieder, hatte sie gemeint und Herr Braun erinnerte sich mit Besorgnis an die Endgültigkeit in ihrem Tonfall, der sich jede weitere Argumentation verbat. Herr Braun war kein Argumentierer, intellektuell sah er sich eher als Vagabund. Mit seiner fleischigen Hüfte ruckelte er nun etwas heftiger hin und her. Wenn Rita putzen würde, wäre das die Wende, dachte er. Aber Rita würde nicht putzen. Sie würde so wenig putzen, wie sie sprechen würde. Sie war einfach nicht der Typ dazu. So viel war sicher. Seit ihrem Einzug hatte sie nicht nur kein Wort gesprochen, sie hatte auch keinen Finger gerührt. Sie lag in dem einzigen Bett im einzigen Raum auf einer schmalen, fleckigen Matratze, die Herr Braun vor ein paar Tagen vom Sperrmüll geholt hatte, wie er Herrn K. erzählte, nachdem der ihn im Innenhof fragte, ob diese Matratze auf seiner Schulter nicht zu dem Auszug gehöre, da sei doch gerade der nette junge Mann aus dem Seitenflügel am Ausziehen. In diesem Bett also, in dem zwei ausgewachsene Personen nur übereinander nächtigen konnten, lag sie stumm und taub und wartete. Ja aber, auf was, auf wen, das waren die Fragen, dachte Herr Braun seltsam berührt und wippte nun, doch noch in Schwung gekommen, auf und ab.

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Mittwoch, 2. Juli 2014
Frau Dobermann
Mats war ein Spieler, dachte Herr Braun. Herr Braun stand regungslos wie ein windstiller Baum im lausigen, kleinen Park gegenüber vom Haus und schaute Mats beim Spielen zu. Das war ein Zeitvertreib, den Herr Braun sehr schätzte in der mühseligen Hetze des Alltags. Hier blühte er auf und kam zu sich. Kinder und Bäume, dachte Herr Braun, sie sind die Zukunft. Das hatte er einmal gelesen, aber vergessen wo, er las ja so viel, das könne er sich beim besten Willen nicht alles merken, hatte Herr Braun erst vor kurzem zu Rita gesagt und sie hatte scheinbar verständnisvoll gegrunzt. Mats saß auf der Wiese im runzeligen Gras und spielte mit leeren Bierdosen, er versuchte sie zu stapeln, mehr als zwei schaffte er aber nicht, sie fielen ständig wieder um. Mats war drei Jahre alt und wohnte im dritten Stock. Er hatte eine Mutter, die Mutter aber hatte keinen Namen, weder an der Klingel noch an der Tür. Auch der Vater fehlte. Kein Wunder, dachte Herr Braun. Mats war klein, blond und laut. Jetzt schrie er wieder aus vollem Hals. Herr Braun hatte keine Ahnung warum. Die Mutter auch nicht, sie saß zwanzig Meter weiter auf einer Bank mit unförmigen Kopfhörern auf den Ohren und rauchte eine Zigarette. Ein hämmerndes Dröhnen kam aus ihrer Richtung. Vielleicht hatte es mit dem Köter zu tun, der Mats angepinkelt hatte. Kinder sind da pingelig, glaubte Herr Braun. Der Köter war schwarz und schlank und groß wie ein Kalb. Er hieß Herr Dobermann. Das wusste Herr Braun von dessen Lebensgefährtin Frau Rübe, einer kleinen, fülligen Person aus dem Vorderhaus, die richtig verknallt war in Herrn Dobermann, wie sie selbst sagte. Frau Rübe arbeitete im Bioladen um die Ecke und war sehr für Tiere zu haben. Nur im Augenblick war nichts von ihr zu sehen. Eine Zeitlang schnupperte der streunende Herr Dobermann harmlos an Mats herum, Frau Rübe war nirgends zu sehen, dann hob der Köter ein Bein und das Unglück war perfekt. Herr Braun dachte daran, die Mutter über den Tatbestand zu informieren, wollte aber keine Affäre daraus machen. Mütter brauchen ihren persönlichen Freiraum, sonst versagen sie in der Erziehung, hatte Herr Braun in einer Broschüre beim Arzt gelesen. Seine Mutter hatte ihn nämlich zum Arzt geschickt, seine Mandeln wären geschwollen. Herr Braun ging nie zum Arzt und wenn doch, dann zum Erstbesten. Der Arzt hieß Frau Klinke und war Frauenärztin. Herr Braun aber war nicht streng und glaubte an die Gleichberechtigung der Geschlechter, da müsse doch was dran sein, behauptete er. Herr Braun war neugierig. Nach fünf Stunden im Wartezimmer aber hatte der nackte Hunger einen Sinneswandel herbeigeführt und er war gewillt, seiner Gesundheit noch einmal eine Chance zu geben. Frau Rübe marschierte über die Wiese, offenbar hatte sie einen freien Tag. Ihre wilden Rufe nach Herrn Dobermann verhallten ungehört, der Köter ließ sich nicht blicken. Besorgt stapfte sie auf den zuverlässig plärrenden Mats zu. Wo ist denn deine Mutter? herrschte sie ihn fürsorglich von oben herab an. Was veranstaltest du denn hier, so vollkommen allein, das ist doch unmöglich! Inzwischen war die Zigarette zu Ende geraucht und es erhob sich, tiefschwarz gekleidet, hoch und stolz gewachsen Frau Dobermann, dachte Herrn Braun, als ihm das schwarze lederne Halsband mit seinen silbernen, im Sonnenlicht glitzernden Nieten ins Auge fiel. Während Herr Braun sich seinerseits erhob und innerlich wappnete, auch wenn er nicht genau wusste gegen wen oder was, sondern nur ahnte, dass der Tag gerade aus dem Ruder zu laufen begann, hatte Frau Dobermann ihn in wenigen eleganten Schritten fast erreicht. Die wachsende Affinität zwischen Mensch und Tier erfüllte ihn unversehns mit größter Sorge. Darum entschied er, umgehend den nahe gelegenen Kiosk aufzusuchen. Rita hatte bestimmt Durst.

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Samstag, 21. Juni 2014
Notaufnahme
Herr Braun lag auf dem Bauch. Unter ihm lag Rita auf dem Bauch. Herr Braun hatte sein Ding in der linken Hand, er wollte es in ihren Po stecken. Auch Rita war Linkshänderin, das hatte ihn gleich an ihr fasziniert. Herr Braun hatte einen aufrichtigen Blick für diese kleinen unscheinbaren Kniffe. Herr Braun dachte nicht, Rita würde ihn lieben, denn insgeheim wusste er, sie vergötterte ihn. Keine Ahnung warum sie das macht, dachte Herr Braun, denn Rita sprach nicht seine Sprache. Sie sprach überhaupt keine Sprache, die er verstand, vielleicht weil sein Verstand sich so erschöpft fühlte auf Rita. Es war heiß, das Ventil am Heizkörper im Flur war abgebrochen und nun heizte der Körper als gelte es sein hohles metallenes Selbst zum Schmelzen zu bringen. Sein Ding passte nicht, es glitschte weg. Einen Klempner sollte man holen. Über ihm wohnte Herr K, so nannte Herr Braun Herrn Kalisgiwiszh. Herr K. hatte viele Jahre als Klempner gearbeitet, bevor er wegen seiner Kupfer-Allergie zum staatlich geprüften Hartzer umgeschult wurde. Jetzt kurz vor der Rente hatte er es geschafft. Er hatte ein eigenes Unternehmen. Nicht ohne Erfolg, wie Herr Braun, nicht ohne Neid, anerkennen musste. Zwei heiße Tage hatte er bei Herrn K. ausgeholfen. An heißen Tagen ist besonders viel los, sagte Herr K. Logisch, dachte Herr Braun. Beinahe wäre er ausgeraubt worden, beinahe hätte er eins auf die Fresse gekriegt, beinahe wäre er gestorben vor Durst. Immerhin war er auf einem seiner endlosen Wege über Rita gestolpert. Es gab anscheinend keinen anderen Ausweg für ihn. Sonst wäre der Job an ihm kleben geblieben, dachte Herr Braun. So blieb Rita an ihm kleben. Sie saß am Kotti neben der Treppe zur U8 und hatte mit ihrem linken Arm eine 25-Cent-Flasche umklammert. Beide wirkten wie zusammen gewachsen, wie ein Körper. Mutter und Kind. Darum nahm er beide mit. Herr Braun machte keine Kompromisse. Das hatte er in der kurzen Zeit bei Herrn K. schon mitbekommen, wer Kompromisse macht, macht keine Kohle und wer keine Kohle macht, der ist ein Arsch. So redete Herr K., der Unternehmer, unentwegt und irgendwann, Herr Braun wusste nicht mehr nach wie vielen Stunden des mühsamen Einerleis, begann es in seinem Kopf zu glimmern. Keine Frage, dachte Herr Braun, Herr K. wusste Bescheid. Bei der Flaschenannahme aber wollten sie Rita nicht. Wir nehmen nur Flaschen, keine Körper, sagten sie dort. Damit hatte Herr Braun nicht gerechnet. Er hatte Rita bis dahin nur als einen Teil der Flasche angesehen. Was sollte geschehen? An Ort und Stelle liegen lassen durfte er sie auch nicht. Herr K. schüttelte energisch den Kopf. Die wollen hier keinen Müll, sagte er, nur Flaschen. Nimm‘ sie mit, schlug er vor, nimm‘ sie doch mit, bitte, du hast doch Platz. Herr K. hatte ein Herz. Das war neu für Herrn Braun, ein Unternehmer mit Herz. Überrumpelt von diesem Gefühl hakte er Rita unter. Nun saß sie neben ihm in der U8 und schien mit ihren Augen nach seinem Ding zu suchen. Herrn Braun war das irgendwie unangenehm. Oder suchte sie nach ihrer Flasche? In seinem Rucksack fand er eine letzte 25-Cent-Flasche. Als er ihr die in den Arm drückte, huschte etwas über ihr Gesicht, die Andeutung eines Lächelns vielleicht, Herr Braun war wie vor den Kopf geschlagen, bestürzt über die winzig kleinen Grübchen in der von Blut und Schmutz entstellten Visage, Grübchen voll hundsgemeiner Bitterkeit. Unversehens wurde ihm klar, wie sehr dieses wertlose Geschöpf seiner Mutter ähnelte und er gab ihr spontan den Namen Rita. Herrn Braun lief ein eisiger Schauer den Rücken herunter. Sein Ding war drin. Tiefe Rührung übermannte ihn. Mutter, sagte er, Rita, sagte er, ich …, sagte er.

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